Mein Baum und die Demokratie

Seit ich hier eingezogen bin, und das ist schon eine Weile her, stand – etwas schräg vor meinem Fenster – ein Baum. Eine riesige Tanne, von der mir eine Nachbarin erzählte, sie hätte dort schon gestanden, als ihr Großvater das Haus gebaut habe.
Ein wirklich wunderschöner Baum.
Groß, mit einem mächtigen Stamm und Hunderten grün benadelten Ästen. Ich konnte ihn immer sehen, wenn ich hier saß und geschrieben habe. Und manchmal, wenn ich von der Arbeit kurz aufsah und dem Wind zusah, der die Äste hin und her wiegte, dachte ich so bei mir, dieser Baum wird noch lange leben, wenn ich längst dahin bin.
Ein tröstlicher Gedanke. Generationen vor mir hatten ihn bewundert und Generationen nach mir werden ihn bewundern. Ja. Das dachte ich. Und warum auch nicht? Der Baum sah so gesund aus, so vollkommen und hatte – allein in den letzten paar Jahren – etliche Stürme überlebt. Ohne auch nur ein Stück Borke zu verlieren.
Dann, vorgestern Abend, hörte ich ein merkwürdiges Geräusch. Es klang wie ein Stöhnen, nicht mal all zu laut, das in ein lang gezogenes Knistern oder vielleicht eher Knirschen überging. Am ehesten klang es wie ein zerreißendes Blatt Papier.
Und während ich noch verdutzt überlegte, was das wohl wieder sein könnte, knallte es und an meinem Fenster flogen Staub, Äste, Nadeln und eine Menge Vögel vorbei.
Ich sag’s ja nur ungern, aber zuerst argwöhnte ich allen Ernstes, irgendwas wäre vom Himmel gefallen. Heutzutage weiß man ja nie. Und dass nunmehr der Müll zwecks Gewinn-Maximierung aus der Luft entsorgt wird, hätte mich auch nicht mehr besonders gewundert.
Also lief ich runter und da lag er: Der Baum.
Umgehauen von einem Windstoß, der den Namen Sturmbö ganz sicher nicht verdient hat. In zwei Teile gebrochen. Zersplittert. Und als ich vollkommen perplex näher ran ging, sah ich aus dem Inneren des Stammes irgendwelches Ungeziefer kriechen.
Es war furchtbar!
Unter der vollkommen aussehenden Borke war der Baum komplett verrottet. Es sah nicht mal mehr wie Holz aus, sondern wie eine Art schwarz-grüner schleimiger Brei. Mir war richtig schlecht.
Aber noch während ich dort stand und fassungslos auf das Desaster starrte, klangen durchs offene Fenster die Nachrichten: Von Merkels Delikatessen-Ackermann-Party auf Steuerzahlers Kosten, Schmidts Kungeleien und den zwei- ja drei-stelligen Millionen Euro Ade-Geschenken an diese und jene Vernichter großer Konzerne und Millionen Arbeitsplätze.
Wie des Hertie-Konzerns. Dessen nunmehr arbeitslose Mitarbeiter keinen Cent erhalten werden.
Keinen Lohn mehr und schon gar keine Abfindung.
Weil die Firma ja pleite ist. Logisch.
Von staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen diesen und jenen war die Rede, Middelhoff und Konsorten, die sich an den Steuergeldern des schon geplagten Volkes immer dreister so richtig bereichert haben und noch immer bereichern.
Ermittlungen! Aber sicher doch. Die werden ohne jeden geringsten Zweifel mit der seither weltberühmten Ackermannschen Victory-Geste – der Raub-Gesindel-Version des Stinke-Fingers – ausgehen.
Und als ich traurig rein ging, da sah ich sie auf dem Monitor: Merkel, umgeben von all den glänzend gelaunten Steuer-Klau-Milliardären, deren (einzelne) Schuhe jeweils mehr gekostet haben, als jeder Normal-Bürger in einem Jahr verdient.
„Es geht aufwärts!“ verkündete Frau Merkel dreist.
Und da habe ich es begriffen.
Dieses hohle Gelaber, das ist die Borke. Die gesund und klasse aussehende Außen-Seite unserer Demokratie. In deren Inneren sich das Ungeziefer breit gemacht hat und alles zerfrisst, was für uns – den Baum – überlebensnotwendig wäre.
Und ich befürchte fast, genau wie in meinem Baum ist da schon nichts mehr außer gräulichem Schleim. Zerrottete Reste dessen, was mal eine stabile und einigermaßen gerechte Demokratie war.
Für die es, wenn wir alle Pech haben, keines Sturmes mehr bedarf, um sie umzupusten.
Dafür wird am Ende ein albernes Lüftchen reichen.
Da kann man nur noch hoffen, dass es nicht auch noch aus Österreich daher weht.

NoXxLynXx - 30. Aug, 19:19
NoXxLynXx - 30. Aug, 21:30
geht alles den bach
runter. wenns noch bäche gäbe.
ich hoffe, am ende kreist sie über dem ganzen desaster und lacht.
ich hoffe, am ende kreist sie über dem ganzen desaster und lacht.
wandlerin - 30. Aug, 23:58
obwohl
erph es schon sagte, dein vergleich deinen verrotteten baum mit der Politik in unserem Land zu vergleichen trifft den nagel auf dem kopf.
deine Flugratte hat es gut, denn ich nehme mal an, dass sie sich darüber keine Gedanken macht.
deine Flugratte hat es gut, denn ich nehme mal an, dass sie sich darüber keine Gedanken macht.
jeremyjoker - 9. Sep, 03:24
Wenigstens konnte der Baum, quasi als letzte Amtshandlung, noch in geschickter Weise als Metapher herhalten! Super Artikel.
ohje!
und wie du an anderer
das war der baum meiner flug-ratte.
ich weiß ja wie lächerlich das klingt, aber ich mache mir tatsächlich sorgen um das ulkige vieh. was immer es auch ist (hoffe ich mal)
ich denkma,